Nah dran trotz Distanz
Emotional erzählen, obwohl die Recherche nur über das Telefon lief? Mit ihrer BCM-prämierten Reportage „Enorme Verantwortung, jedes Mal“ zeigt unsere Redakteurin Matea, wie das geht. Hier verrät sie, warum es auf Vorbereitung, Neugier und die Wahl des richtigen Formats ankommt.
Matea, du hast inmitten der ersten Phase der Coronapandemie eine Reportage geschrieben – über den Alltag eines Hirnchirurgen, den du dann aber nicht persönlich treffen konntest. Es gibt bessere Zeitpunkte, oder?
Ich weiß, das klingt erst einmal nach einem gewagten Timing. Ein Kollege von mir plante damals eine Ausgabe des Kundenmagazins About Trust von TÜV SÜD zum Thema Vertrauen, und ich hatte das Thema als Reportage vorgeschlagen. Wir fanden die Idee beide spannend, standen dann aber schnell vor dem Problem, wie wir die Story trotz Kontaktbeschränkungen umsetzen können.
Und dann?
Wir überlegten, ob es auch andere Formen als die klassische Reportage für das Thema geben könnte. Mein Kollege hatte dann die Idee, aus der Reportage ein Protokoll zu machen. Der Plan war, dass ich ausführlich mit dem Protagonisten telefoniere und seine Antworten zu einem lebhaften Protokoll verdichte. Ich war allerdings skeptisch. Für so ein Thema braucht man ja die Nähe zu seinem Protagonisten, und ich hatte meine Zweifel, ob sich die nur über ein Telefonat herstellen lassen würde. Viele Menschen brauchen einfach Zeit, bis sie Vertrauen fassen und die wirklich spannenden Sachen erzählen.
Du hast es dann trotzdem gemacht und einen ziemlich eindrücklichen Text abgeliefert.
Ich habe mich breitschlagen lassen und das Ganze als Herausforderung betrachtet. Menschen wie dieser Chirurg und ihre Geschichten faszinieren mich, sie sind einer der Gründe, warum ich meinen Job so gern mache. Deswegen wollte ich das Projekt auch unbedingt durchziehen. Blieb nur noch ein Problem: Von Hirnchirurgie hatte ich keine Ahnung. Und vor Ort anschauen konnte ich mir ja nichts. Also habe ich mir einen halben Tag lang Videos angeschaut. Danach fühlte ich mich einigermaßen vorbereitet.
Wie lief dann das Gespräch?
Dr. Ralf Buhl, der Hirnchirurg, rief mich wie vereinbart an und war von Anfang an super easy und entspannt. Er hatte Zeit mitgebracht und auch Lust auf unser Gespräch, das waren schon mal gute Voraussetzungen. Er hat dann auch recht schnell gemerkt, dass ich mich wirklich für ihn und seine Arbeit interessiere und mich mit der Materie beschäftigt hatte. Obwohl er zwischendurch einen Patienten versorgen musste und wir das Gespräch dann wieder neu aufnehmen mussten, lief das alles gut durch. Wir hatten Zeit, um über die Details seiner Arbeit zu sprechen, und konnten sogar den einen oder anderen philosophischen Exkurs zum Thema Vertrauen einbauen.
Also hattest du anschließend genug Material?
Ja, schon, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Wenn ich normalerweise irgendwo hinfahre, jemanden treffe, Dinge beobachte, dann bekomme ich ein Gefühl für den Menschen und den Ort, ich spüre die Atmosphäre. Das alles gab es in diesem Fall nicht, und deswegen musste ich das mit Vorstellungskraft und sehr viel Recherche ausgleichen. Das Protokoll hat als Format geholfen. In dem Text geht es vor allem um das Innenleben von Ralf Buhl und seine Sicht. Diese Aspekte konnte ich auch per Telefon gut abfragen und nachher wiedergeben.
Inwiefern verlangt eine Reportage also deiner Meinung nach gar nicht mehr zwingend Anwesenheit vor Ort?
Ich bin davon überzeugt, dass der Termin vor Ort auf lange Sicht wichtig bleiben wird, einfach weil man dann näher dran ist. Videochats helfen natürlich, aber sie eignen sich sicherlich nicht für jeden Termin. Mit Herrn Buhl, so ehrlich muss ich sein, hatte ich auch einfach etwas Reporterinnenglück. Nicht jeder bringt so viel Zeit mit und öffnet sich einer fremden Reporterin so sehr. Ich musste das Ganze dann nur noch in Form bringen – und freue mich natürlich, dass mir das ganz gut gelungen ist.
Matea Prgomet ist seit 2017 bei muehlhausmoers und arbeitet mittlerweile als Creative Concepter und Editor an digitalen und analogen Projekten. Die gebürtige Kroatin hat Komparatistik studiert und danach Erfahrungen als Mode- und Musikjournalistin gesammelt. Eine besondere Leidenschaft hat sie bis heute für Jahrescharts verschiedenster Disziplinen.