„Streit über Sprache gehört zur Meinungsfreiheit“
Sprachdiktatur, Hassbotschaften, Cancel Culture: Unsere Sprache ist zum Streitthema geworden. Wir haben die Linguistin Dr. Melani Schröter gefragt, was gerade mit unserer Sprache passiert: Wird sie sensibler oder verroht sie?
Frau Dr. Schröter, wieso erforschen Sie politische Debatten über Sprache? Was hat Sie auf dieses Thema gebracht?
In meiner Doktorarbeit habe ich mich schon mit politischen Reden beschäftigt, und danach begann ich mich dafür zu interessieren, wie das Schweigen als Mittel der Kommunikation interpretiert wird. Als zum Beispiel der damalige Kanzler Helmut Kohl die Namen von Geldgebern seiner Partei nicht nennen wollte, gab es über sein Schweigen eine riesige Debatte. Darf er schweigen? Warum nennt er die Namen nicht? Was hat er zu verbergen? Das erstaunlich ergiebige Thema des Diskurses über das Schweigen hat mich auf den Metadiskurs über Sprache insgesamt aufmerksam gemacht. Vor allem politisch rechts stehende Personen und Gruppierungen behaupten heute, sie würden durch die Political Correctness zum Schweigen gebracht. Dieser Diskurs ist nun mein Forschungsgegenstand.
Vor allem die Diskussion über geschlechtergerechte Sprache hat die breite Masse erreicht. Warum erhitzt dieses Thema so sehr die Gemüter?
Sprache ist ein kollektives Gut. Sie wandelt sich permanent, etwa weil durch Innovationen neue Begriffe in den Wortschatz einfließen. Aber normalerweise hat keine einzelne Person die Dynamik dieser Veränderungen in der Hand. Deswegen empfinden manche Menschen es als Manipulation, wenn einzelne Gruppen gezielt versuchen, die Sprache zu verändern, so wie das bei der Einführung von geschlechtergerechten Ausdrucksweisen der Fall ist. Zudem möchten viele Sprachbenutzenden sich auf ein klares Regelwerk verlassen können. Es erzeugt bei ihnen ein Unbehagen, wenn immer wieder neue sprachliche Normen ins Spiel gebracht werden. Niemand oder zumindest kaum jemand stellt sich die Sprache gern als Baustelle oder Experimentierfeld vor.
Haben Sie also Verständnis für die Kritik am Gendern?
Nein, ich halte diese Kritik für überzogen. Schließlich geht es hier nicht um einen Umbau der gesamten Sprache, sondern nur um einen anderen Umgang mit Personenbezeichnungen, um mehr Vielfalt abzubilden und kein Geschlecht zu diskriminieren. Dieses Ziel sollte eigentlich die Mühe wert sein, sich an neue Ausdrucksweisen zu gewöhnen. Meine Vermutung ist, dass Menschen, die sich gegen geschlechtergerechte Sprache wehren, oftmals kein Interesse an der Gleichstellung der Geschlechter haben.
Es werden aber auch unpolitische Gegenargumente vorgetragen. Zum Beispiel: Geschlechtergerechte Formulierungen seien umständlich oder unästhetisch.
Ich halte solche Argumente für eher vorgeschoben. Dahinter können sich ideologische Gründe verbergen. Es geht bei der Debatte über Sprache ja nicht nur um die Sprache selbst, sondern auch um gesellschaftliche Normen, die damit ausgedrückt und verhandelt werden. Umstritten ist zurzeit nicht nur das Gendern, auch andere Formen des diskriminierungsfreien Sprechens lösen Kontroversen aus. Wenn Angehörige von sozialen Minderheiten fordern, dass Ausdrücke, die sie als abwertend empfinden, nicht mehr verwendet werden, weisen manche Menschen das als Bevormundung zurück. Meiner Meinung nach werden solche Diskussionen von rechten Gruppierungen stark instrumentalisiert. Sie behaupten, es gebe eine Sprachdiktatur der Political Correctness. Angeblich wollen linke Aktivist:innen die gesellschaftliche Diskurshoheit an sich reißen und die Meinungsfreiheit einschränken. So argumentieren die Rechten.
Schränkt es denn tatsächlich die Meinungsfreiheit ein, wenn man auf bestimmte Begriffe verzichtet?
Nein, denn die Sprechenden könnten ihre Meinung ja auch mit anderen Worten ausdrücken. Im Gegenteil: Dass über Sprache so viel gestritten wird, ist für mich ein Beleg dafür, dass es Meinungsfreiheit gibt. In einer Diktatur wären solche sprach-politischen Diskurse nämlich verboten. Zur Demokratie gehört die Freiheit der Meinungsäußerung und auch die Freiheit der Wortwahl. Aber auch die Kritik an Meinungen und an Ausdrucksweisen muss möglich sein. Wer sich abwertend oder unsensibel über andere äußert, muss damit rechnen, dafür kritisiert zu werden. Gerade das macht einen freiheitlichen Diskurs aus.
Wie ist dieser Konflikt überhaupt entstanden? Seit wann gibt es politische Sprachkritik?
Die Wurzeln für die heutige Debatte liegen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Zuge der Aufarbeitung des Nationalsozialismus setzte auch eine Auseinandersetzung mit dessen Sprache ein. Dabei ging es nicht nur darum, offensichtliche Nazi-Terminologie aus dem Wortschatz zu verbannen. Auch scheinbar neutrale Wörter gerieten in den Verdacht, menschenverachtende Ideologie zu transportieren. In dem sprachkritischen Lexikon „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“, das 1957 von Dolf Sternberger, Wilhelm Emanuel Süskind und Gerhard Storz herausgegeben wurde, tauchen Begriffe wie „Betreuung“, „durchführen“ und „organisieren“ auf. Die Autoren argumentierten, dass solche bürokratischen Vokabeln menschenverachtende Ideologie abstützen könnten, indem sie etwa die staatlich organisierte Ermordung und Ausgrenzung von Personengruppen verbal verharmlosen würden. Seither wird der Zusammenhang von Sprache, Macht und Ideologie immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert.
„Bei geschlechtergerechter Sprache könnten wir eine Mixtur von verschiedenen Möglichkeiten einfach mal ausprobieren.“
Wird Sprachkritik vor allem von emanzipatorischen Bewegungen genutzt, die von politisch linker Seite kommen und für gesellschaftliche Gleichstellung kämpfen?
Häufig ist das so, aber nicht nur. Auch Bewegungen von rechts haben sich diese Argumentationsmuster zu eigen gemacht. Manche Rechte lehnen es zum Beispiel ab, als „rechts“ bezeichnet zu werden. Sie inszenieren sich dabei als Opfer von sprachlicher Diskriminierung und fordern für sich selbst verbalen Minderheitenschutz. Trotzdem wollen sie andere soziale Gruppen diskriminieren dürfen.
Wie könnte man den Diskurs über Sprache auf eine Weise führen, die nicht ideologisch verbissen ist?
Ich würde es begrüßen, wenn sprachpolitische Vorschläge ergebnisoffen diskutiert würden. Man muss sie ja nicht als unbedingte Forderungen aufstellen oder zurückweisen. Bei der geschlechtergerechten Sprache zum Beispiel könnte man eine Mixtur von verschiedenen Möglichkeiten einfach mal eine Weile ausprobieren. Was spräche dagegen, bei Personenbezeichnungen wie „Mitarbeiter“ oder „Angestellte“ abwechselnd das generische Maskulinum, das Femininum und neutrale Partizipialkonstruktionen zu verwenden? Wir brauchen dafür doch nicht zwingend eine einzige, immer gültige Regelung.
Haben Sie selbst einmal Ausdrücke verwendet, die Sie heute nicht mehr verwenden würden?
Als Kind schon. Zum Beispiel habe ich mich an Karneval als „Zigeunerin“ verkleidet und das auch so genannt. Spätestens seit ich weiß, dass der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma diese Bezeichnung ablehnt, verwende ich das Wort nicht mehr.
Gibt es sprachpolitische Forderungen, die Sie ablehnen?
Falsch finde ich es, wenn Literatur nachträglich umgeschrieben wird, um bestimmte Ausdrücke daraus zu entfernen. Wir brauchen solche historischen Quellen, um zu verstehen, wie Sprache sich verändert und wie sich gesellschaftliche Diskriminierung in bestimmte Ausdrücke eingeschrieben hat.
Was halten Sie von der polemischen Formulierung „alte weiße Männer“, die zurzeit oft verwendet wird, um mangelnde Diversity in Führungspositionen anzuprangern? Ist das nicht auch eine Form des diskriminierenden Sprechens?
Meiner Meinung nach geht es hier um eine Markierung und nicht um eine Diskriminierung. Meistens werden im öffentlichen Diskurs Personengruppen sprachlich markiert, die vermeintlich nicht zur gesellschaftlichen Norm zählen. Etwa ein Mensch mit Migrationshintergrund oder eine Frau in der Chefetage. Auf solche Eigenschaften wird sehr oft hingewiesen. Wir lesen in den Medien sehr oft Formulierungen wie „die türkischstämmige Wissenschaftlerin“, aber nicht „der deutschstämmige Politiker“. Der Ausdruck „alte weiße Männer“ dagegen dreht den Spieß einmal um, indem er diejenigen markiert, die sonst immer als der Normalfall gelten. Allerdings fällt bei dieser Stereotypisierung unter den Tisch, dass es durchaus ältere weiße Männer gibt, die keine Machtpositionen innehaben. Manche leben sogar am Rande der Gesellschaft. Insofern ist die Formulierung etwas fragwürdig.
Wieso haben Diskussionen über Sprache gerade in den vergangenen Jahren so sehr zugenommen?
Schon durch die Einführung von Radio und Fernsehen als Massenmedien hat das Thema im 20. Jahrhundert sehr an Bedeutung gewonnen. Das Internet verstärkt dies nun noch ganz erheblich. Denn der Raum des öffentlichen Sprechens ist viel größer geworden, seit jede:r sich in den sozialen Netzwerken an Diskussionen beteiligen kann.
„Jeder Mensch kann einschätzen, was sich gehört und was nicht. Auch in der Sprache.“
Im Internet erleben wir, dass nicht nur die Sensibilität im Umgang mit Sprache zugenommen hat. Es gibt leider auch viele Social-Media-Nutzer:innen, die eine betont hasserfüllte Wortwahl verwenden. Wie hängen diese Erscheinungen zusammen?
Auf der einen Seite wird unsere Sprache sensibler, auf der anderen Seite verroht sie. Beide Phänomene bedingen sich wohl gegenseitig. Mit der wachsenden Aufmerksamkeit für diskriminierende Ausdrücke und der Kritik an ihnen wächst auch die Versuchung, diese Kritik entweder zu unterwandern oder zu provozieren. Die Hassredner:innen im Internet wissen sehr genau, welche Wortwahl heutzutage akzeptabel ist und welche nicht. Gerade weil sie diese Sensi-bilität haben, sind sie sehr kreativ im Erfinden von neuen Hassausdrücken. Ich untersuche zurzeit Social-Media-Profile der AfD. Dort tauschen in den Kommentarspalten oftmals Menschen mit ausländerfeindlichen Ansichten ihre Meinungen aus. Zum Beispiel bezeichnen sie Geflüchtete boshaft als „unsere Gäste“ oder als „Muttis Goldstücke“. So werden scheinbar neutrale Begriffe zu Hasswörtern umgewandelt, die von Gleichgesinnten auch als solche verstanden werden.
Was lässt sich gegen die Ausbreitung von Hatespeech im Internet tun?
Das ist ein großes und ein ungelöstes Problem. Allein die schiere Menge an Kommunikation in Internetforen macht es schwierig, Hassbotschaften herauszufiltern und juristisch zu verfolgen. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dabei mit Augenmaß vorzugehen und die Meinungsfreiheit zu gewährleisten. Ob eine Ausdrucksweise akzeptabel, inakzeptabel oder sogar justiziabel ist, hängt oft vom Einzelfall und vom Kontext ab.
Muss man bei der Kritik von Äußerungen eventuell den Bildungshintergrund der Sprechenden berücksichtigen? Vielleicht weiß das akademische Milieu besser Bescheid, welche Ausdrücke problematisch sind.
Nein, ich denke – unabhängig von Bildung und sozialer Herkunft –, jeder Mensch kann einschätzen, was sich gehört und was nicht. Auch in der Sprache.
Dr. Melani Schröter
ist Associate Professor an der University of Reading in England im Fachbereich Sprachen und Kulturen. Zu ihren Forschungsgebieten gehören die Metasprache und der Metadiskurs, also Debatten über den Sprachgebrauch. Zurzeit untersucht sie insbesondere den Anti-Political-Correctness-Diskurs, der von der politischen Bewegung der Neuen Rechten in Deutschland geführt wird.