Wie eine Sprunginnovation die Welt verändern könnte
Mikroplastik ist eines der größten Umweltprobleme der Welt. Eine innovative Idee des Ingenieurs Roland Damann könnte die Krise lösen – mithilfe der Bundesagentur für Sprunginnovationen.
Mikroskopisch kleine Bläschen sprudeln im Wasser nach oben und hinterlassen einen weißen Nebel. An ihrer Oberfläche haften winzige Partikel, die mit ihnen an die Wasseroberfläche treiben. Die Blasen sind Teil einer innovativen Lösung, die Partikel einer der größten Umweltverschmutzer der Welt.
In Paderborn tüftelt Roland Damann an einer schwimmenden Anlage, die Mikroplastik aus Flüssen fischen soll. Dafür setzt der Umweltingenieur und Entwickler auf das Mikro-flotationsverfahren und winzige Bläschen. Bereits im Mittelalter hat man mit einem Holzzuber und Blasebalg große Luftblasen erzeugt, um das blaue Mineral Azurit von Gesteinsbrocken zu trennen. In den 1990er-Jahren avancierte Damann mit der Trenntechnik zum Experten für Schmutzwasserbehandlung und etablierte das Verfahren zur Abwasserreinigung mit seinem Ingenieurbüro enviplan weltweit. Für ihre Wirksamkeit wurde die Mikroflotation unter anderem mit dem Innovationspreis des Netzwerks ZENIT ausgezeichnet.
Heute möchte der 63-Jährige damit kleinste Plastikpartikel aus dem Wasser treiben. Seine Idee entwickelt er zusammen mit seinem 15-köpfigen Team und der Unterstützung der Bundesagentur für Sprunginnovationen, kurz SPRIND, weiter. Bis heute ist Damanns Idee einzigartig. Denn es fehlt an einem technisch und wirtschaftlich anwendbaren Verfahren, das die „stille Gefahr“, wie Damann das Mikroplastik nennt, zuverlässig aus dem Wasser bekommt. In vier Jahren sollen die Anlagen der MicroBubbles GmbH auf der ganzen Welt in Flüssen schwimmen. Gelingt Damann das, könnte seine Innovation das Leben von Milliarden von Menschen und Tieren verändern und Wirtschaftszweige grundlegend prägen.
„Sprunginnovationen finden Antworten auf die sozialen, ökologischen und ökonomischen Fragen unserer Zeit.“
Den Sprung in die Zukunft sichern
Auf Projekte mit diesem Wirkungspotenzial fokussiert sich die SPRIND. Die Bundesregierung rief die Innovationsschmiede 2019 ins Leben, mit dem Ziel, eine „Brücke zwischen Forschergeist und Unternehmertum“ zu bauen. Erfinder:innen wie Damann, die Antworten auf die sozialen, ökologischen und ökonomischen Probleme unserer Zeit finden, erhalten bei SPRIND den Spielraum, ihre Ideen weiter auszufeilen und in kurzer Zeit marktreif zu machen. Die Produkte müssen nach SPRIND „unser Leben spürbar und nachhaltig besser machen“, um förderfähig zu sein. Dann unterstützt sie mit finanziellen Mitteln, bietet Hilfe beim Aufbau eines Teams und ein Netzwerk aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.
Nach dem US-amerikanischen Vorbild der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) organisiert auch die SPRIND mehrjährige Innovations-Challenges. Ein entscheidender Unterschied liegt jedoch in der Höhe der Förderung und in der Vergabe der Gelder. Während die DARPA über ein Jahresbudget von 3,5 Milliarden US-Dollar verfügt und Projekte unbürokratisch fördern kann, soll die SPRIND mit nur einer Milliarde Euro für zehn Jahre ausgestattet werden und muss die Gelder detailliert begründen. Dabei ist genau die unbürokratische Förderung – besonders von Projekten, deren Erfolge noch ungewiss sind – laut SPRIND-Leiter Rafael Laguna de la Vera entscheidend für die Entstehung innovativer Sprünge. Den Prozess noch weiter zu verbessern, ist deshalb Laguna de la Veras Ziel.
Zwischen Grundlagenforschung und fertigem Produkt befinden sich Unternehmen in einer kritischen Phase, die Laguna de la Vera auch das „Tal des Todes“ nennt. Hier wird über Gelingen und Scheitern entschieden. Durch jenes Tal schritt auch Roland Damann, nachdem er 2019 sein Patent einreichte. Zwar wurde das Patent genehmigt, doch erste mögliche Interessent:innen sahen in seiner Idee kein Potenzial. Damann verbannte sie buchstäblich zurück in die Schublade. „Sie sagten, ich könne die Welt nicht retten und damit sowieso kein Geld verdienen“, erinnert sich der Ingenieur.
Aber seine Idee ließ ihn nicht los. Mit seinem Unternehmen enviplan, aus dem er sich inzwischen zurückgezogen hat, setzte er über 350 Abwasserprojekte in 50 Ländern um. Vor Ort tauchte er tief in die Wasserproblematik ein und sprach mit den betroffenen Menschen. Mehr als zwei Milliarden Menschen haben derzeit keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Mikroplastik ist eine der Ursachen für die Verschmutzung. „Wenn du so viel gesehen und erlebt hast, rührt die Motivation woanders her. Ich wollte einfach eine Lösung finden“, sagt Damann.
Mikroplastik, die unsichtbare Gefahr
Mikroplastik ist das Produkt einer modernen Industrie, in der fossile Stoffe natürliche verdrängen. In den 1950er-Jahren ließen sich Kunststoffe erstmals in Massenproduktion herstellen. Seitdem wurden mehr als neun Milliarden Tonnen Plastik auf der Welt erzeugt. Nur knapp 30 Prozent davon wurden recycelt und in neue Formen gepresst, die restlichen 70 Prozent liegen auf Müllhalden oder schwimmen in Flüssen wie dem Ganges. Er schlängelt sich durch Indien und Bangladesch. Wo Wasser fließen sollte, ist mancherorts nur eine bunte Schicht aus PET-Flaschen, Eimern, Tüten, Bekleidung und Autoreifen zu erkennen.
Flüsse wie der Ganges sind die Geburtsstätte von Mikroplastik. Hier brechen UV-Strahlen und Wellenbewegungen die großen Plastikstücke in immer kleinere Partikel – bis sie schließlich zu leicht für die Wasseroberfläche werden und unsichtbar herabsinken. Dort wabern die 0,1 bis fünf Millimeter kleinen Partikel durch das Wasser und strömen durch Flussmündungen in die Weltmeere. Von da aus finden sie auch den Weg in die Organismen von Menschen und Tieren.
Im Schnitt isst jeder Mensch sechs Gramm Plastik pro Tag – das ist etwa so viel wie eine Kreditkarte. Diese Zahl ergibt sich im Übrigen nicht allein durch den Verzehr von Fisch und anderen Meerestieren, sondern entsteht durch die allgegenwärtige Präsenz des Kunststoffs. Ob über Plastiktrinkflaschen, die Käseverpackung aus dem Supermarkt, das Plastikschneidebrett oder die beschichtete Pfanne: Plastik schleicht sich über diverse Wege auf unsere Teller. Daran ist das sogenannte „Shedding“ schuld, denn Plastikprodukte verlieren für das bloße Auge nicht zu erkennende Partikel. Dadurch gelangt auch Mikroplastik aus Textilstoffen wie Polyester beim Waschen ins Wasser. Laut des World Wide Fund For Nature (WWF) gelangen pro Jahr zwischen 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen Plastik in die Meere. Das entspricht einer Lkw-Ladung pro Minute. 80 Millionen Tonnen Plastik sollen sich so laut WWF in unseren Meeren angesammelt haben, ein Großteil davon in mikroskopisch kleiner Form.
So winzig seine Größe also auch ist, so weitreichend sind die Folgen des Mikroplastiks. Um diese Krise zu lösen, bedarf es deshalb nicht nur innovativer Ideen, sondern Ideen mit einer Sprungkraft wie jene von Roland Damann. Für Sprunginnovationen hat das Fraunhofer-Institut 2019 eine konzeptionelle Grundlage erarbeitet. Demnach werden Innovationen zu Sprunginnovationen, „wenn sie über signifikant bessere Kosten- und Nutzenrelationen verfügen und in kurzer Zeit eine hohe Marktdurchdringung erreichen“. Sie haben außerdem „eine besondere Dynamik und ziehen einen weitreichenden Wandel in Märkten, Organisationen und Gesellschaften nach sich“.
„Noch dieses Jahr soll der Prototyp der schwimmenden Anlage ins Wasser kommen.“
Mit den mikroskopisch kleinen Bläschen, den MicroBubbles, scheint Damann auf einem guten Weg zu einer Sprunginnovation zu sein. Im Gegensatz zu anderen Projekten wie „The Ocean Cleanup“, die mit Filtern arbeiten, haben sie den entscheidenden Vorteil, dass sie beweglich sind und nicht verstopfen können. Außerdem sind Filter immer auf eine bestimmte Größe limitiert: Alle Partikel, die kleiner sind, rutschen durch. Das ist bei den kleinen Blasen anders. Sie sind gerade mal so groß wie ein Drittel eines Haares und binden unterschiedlich großes Mikroplastik fest an sich. Ein weiterer Vorteil liegt in der Mobilität der schwimmenden Anlage. Bisher wurde das Mikroflotationsverfahren nur in festen Anlagen erprobt. Dafür muss Wasser jedoch aus Flüssen zur Anlage gepumpt, gefiltert und anschließend wieder zurücktransportiert werden. Ein enormer Aufwand und Kostenpunkt. Mit dem mobilen System kann Damanns Team auch Mikroplastik-Hotspots gezielt reinigen. Diese befinden sich laut Damann häufig in Flussmündungen. „Wenn wir Plastik aus den Flüssen herausfiltern, haben wir schon ein großes Emissionspotenzial reduziert“, sagt der Entwickler.
Technische Hürden meistern
Im Detektieren dieser Hotspots liegt jedoch noch eine der größten Hürden. „Die Idee steht und fällt damit, die Hotspots zu finden“, so Damann. Damit das gelingt, hat er sich mit dem Lehrstuhl für Optik und Laser in Marburg zusammengetan. Denn dort wird ein Lumineszensverfahren entwickelt, das Mikroplastik aufleuchten lassen kann. Eine schwimmende Drohne könnte so künftig die Gewässer sichten und hohe Konzentrationen von Mikroplastik identifizieren. Im Anschluss soll die Drohne ein Signal an die schwimmende Anlage senden, die autonom zur Stelle fährt, das Wasser mithilfe der MicroBubbles reinigt und das auftreibende Mikroplastik einsammelt. Perspektivisch könnten Unternehmen das Mikroplastik von Damann ankaufen und es so dem Produktionszyklus wieder zuführen – das würde auch die Kreislaufwirtschaft stärken.
Noch dieses Jahr soll der Prototyp der schwimmenden Anlage ins Wasser kommen. An einem Flughafen untersuchen Damann und sein Team bereits das Oberflächenwasser. Denn der Abrieb von Reifen wie denen von Flugzeugen und Autos verursachen rund ein Drittel des Mikroplastiks in Deutschland. Außerdem werden im Sommer zwei Pilotanlagen in Paderborn und Hamburg in Betrieb genommen.
In vier Jahren will Damann die Technologie dann weltweit anbieten und Mikroplastik zuverlässig aus dem Wasser filtern. Dann könnten Regierungen und Unternehmen auf der ganzen Welt Komponenten von Damanns Technologie zusammen mit einer Lizenz in Deutschland kaufen. „So könnten wir das Verfahren mithilfe von Application Engineering auf die Bedingungen vor Ort anpassen und würden die Innovation im Land halten“, sagt Damann. Das dürfte auch die Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger freuen, die mit Deutschland in ein „Innovationsjahrzehnt“ aufbrechen will. Mit Erfinder:innen wie Roland Damann und seinen MicroBubbles könnte das gelingen.
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High-Performance-Computing. Der Analogpionier Bernd Ulmann könnte die Signalverarbeitung in Handys und medizinischen Implantaten wie Hirnschrittmachern revolutionieren. Dafür arbeitet er an einem Analogrechner auf einem Chip, der nur wenige Quadratmillimeter groß ist. Gegenüber digitalen Rechnern hat der winzige Analogrechner den Vorteil, dass er Aufgaben parallel statt nacheinander lösen und so wesentlich schneller und energie-effizienter arbeiten kann.