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Mein Mann erzählt gerne eine Anekdote: Als er geboren wurde, trug seine Mutter ein T-Shirt mit der Aufschrift „Life’s a bitch and then you die“. Pessimismus, könnte man sagen, wurde ihm also in die Wiege gelegt. Aber ist es wirklich so einfach? Arrow Down

Laut Umfragen begegnet die Mehrheit der Deutschen 2023 mit Sorgen. Klimakrise, Ukrainekrieg, Pandemie: Vielleicht ist das kein Wunder. Ob wir langfristig zuversichtlich in die Zukunft blicken, ist jedoch vor allem durch unsere Erfahrungen und Gene bedingt. Glaubt man Psycholog:innen, liegt eine optimistische Grundeinstellung allerdings auch in unserer Hand. Optimismus lässt sich lernen, trainieren wie ein Muskel. Die Vorteile sind groß: Optimisten leben länger, leiden weniger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sind allgemein glücklicher und erfolgreicher. Extremer Pessimismus kann hingegen laut mancher Studien so gesundheitsschädlich sein wie das Rauchen von drei Schachteln Zigaretten am Tag. Guter Grund, mit dem Training zu beginnen. Wie genau das gehen kann, damit beschäftigt sich die Positive Psychologie seit Ende der 1990er-Jahre. Ihr Begründer, der US-amerikanische Psychologieprofessor Martin Seligman, definierte die Hauptmerkmale, die eine pessimistische von einer optimistischen Einstellung unterscheiden. Die „drei P“: personalization, pervasiveness und permanence.

Ein wichtiger Schritt zu einem zuversichtlicheren Leben ist, sich der eigenen Denkmuster bewusst zu werden. Wem oder was geben wir die Schuld, wenn etwas schiefgeht? Uns selbst oder äußeren Faktoren? Pessimisten personalisieren negative Ereignisse (personalization), aber nicht positive – Optimisten tun das Gegenteil. Ein Pessimist sagt sich nach Misserfolgen also häufiger: „Das war mein Fehler.“ Nehmen wir an, Sie kommen beim Skifahren von der Bahn ab. Ist Ihre Schlussfolgerung, dass die Strecke vereist war oder dass Skifahren eben schwierig ist? Ein Optimist konzentriert sich auf externe Faktoren, wie die vereiste Strecke, statt eine allgemeingültige Aussage zu treffen, die sich schwer ändern lässt (pervasiveness). Pessimisten glauben außerdem, dass sich aus einem negativen Erlebnis eine Regel für die Zukunft ableiten lässt (permanence). Optimisten glauben hingegen daran, dass die Karten jedes Mal neu gemischt werden. Das hat messbare Auswirkungen: In einem von Seligmans bekanntesten Experimenten wurde die Schnelligkeit von Schwimmern gemessen. Nach der ersten Runde gaben die Forscher:innen ihnen schlechtere Zeiten an. Die Optimisten schwammen in der nächsten Runde genauso schnell, die Pessimisten dagegen langsamer. Der Glaube daran, es beim nächsten Mal besser machen zu können, macht erfolgreicher. Anders gesagt: Optimismus motiviert. Aber wie lerne ich das jetzt?

Simple Tipps,
große Wirkung

Die Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie mit Sitz in Berlin ist das erste Institut seiner Art in Deutschland. Die Juristin Dorothee Salchow arbeitet dort als Trainerin. Aus ihrem Hamburger Wohnzimmer empfiehlt sie mir einen Optimismusspaziergang: „Achten Sie darauf, was Sie sehen und hören. Und dann schieben Sie den Optimismusregler ein kleines bisschen nach oben.“ Das mache sehr schnell klar, wie sehr die eigene Einstellung die Wahrnehmung beeinflusse. „Es ist wichtig, negative Gefühle zuzulassen“, bestätigt die Therapeutin Leonie von Arnim über Zoom. „Optimismus kann auch unter Druck setzen.“ Sie begleitet in ihrer Berliner Wohnung Menschen auf ihrem Weg. Im Hintergrund ein heller, gemütlicher Raum mit Kamin, in dem man sich das gut vorstellen kann. Negative Gefühle zulassen – dürfen das nicht auch Optimisten? Ich wähle ein banales Beispiel: Der Geburtstagskuchen für meine Tochter fällt mir vom Blech. Ich fluche und zweifle an meiner Mutterrolle. Aber nach ein paar Minuten rapple ich mich auf, ziehe los und kaufe Muffins bei der nächsten Bäckerei. „Das ist die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln“, sagt von Arnim – anders gesagt: Resilienz. Resilienz beschreibt unsere Fähigkeit, mit Rückschl.gen umzugehen. Optimistischen Menschen fällt das in der Regel leichter. Die Kraft des Optimismus liegt darin, negative Situationen als nicht persönlich, vorübergehend und einzigartig zu verstehen. Wer sich nicht alleine für Misserfolge verantwortlich macht und an neue Chancen glaubt, braucht weniger lang, um darüber hinwegzukommen, und probiert es vermutlich eher wieder. Optimismus zeigt sich nicht nur im Umgang mit Erfolgen, sondern auch mit Rückschl.gen.

Daraus lässt sich auch ableiten, warum Optimisten gesünder leben: Sie glauben eher daran, dass sie Trainings- und Ernährungspläne einhalten können – und geben seltener auf, wenn das mal nicht klappt. Es ließe sich argumentieren, dass vieles ohne Optimismus nicht möglich wäre: Menschen auf den Mond schicken zum Beispiel, aber auch Kinder kriegen oder heiraten.

Zuversicht leben

Der Psychologe und KZ-Überlebende Viktor E. Frankl behandelt in seinem Buch „… trotzdem Ja zum Leben sagen“ die überlebenswichtige Rolle von Zuversicht. Diejenigen, so Frankl, die trotz der unmenschlichen Umstände ihre Hoffnung nicht verloren, hatten immer ein Ziel vor Augen. Familie, Arbeit – oder ihr Leid zu ertragen, ohne die Menschlichkeit zu verlieren. Frankl nennt es „die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen“. Anders gesagt: Die Umstände lassen sich nicht immer beeinflussen, aber unser Umgang damit. In der Philosophie findet sich seit der Antike der feste Glaube an das menschliche Potenzial für Wachstum und Verbesserung. Jeder Mensch und somit auch jede Gesellschaft kann (und sollte) nach Höherem streben. Daraus ergeben sich Ansätze für Moral und ein besseres Leben, die auch heute noch aktuell sind. „Die Stoiker waren dafür, dass wir ab und zu die pessimistische Brille aufsetzen und uns mit dem Worst Case auseinandersetzen. Dahinter steckt der optimistische Gedanke: Auch damit können wir zurechtkommen“, erklärt der Philosoph Martin Ebeling von The School of Life Berlin. Guter Optimismus ist also keine rosarote Brille, die alles Schlechte unsichtbar macht – er macht es aber erträglicher. Und kann Motor für Wandel sein: Jede Demonstration zeigt, dass etwas falsch läuft, ist aber gleichzeitig Ausdruck der Hoffnung, etwas besser machen zu können.

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Optimismus zeigt sich nicht nur im Umgang mit Erfolgen, sondern auch mit Rückschlägen.

Ein Selbstexperiment: Während der Recherche für diesen Artikel wurde ich krank. Die Deadline rückte näher. Ich fand keine Expert:innen. Meine Tochter schlief schlecht und ich schleppte mich mit einem nörgeligen Kleinkind durch die Nachmittage. Ich versuchte, ruhig zu bleiben und nicht zu katastrophisieren, was sonst meine Tendenz ist. Mit Schnupfnase schickte ich weitere Anfragen. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich plötzlich drei Interviewtermine. „70 bis 80 Prozent der Erwachsenen wissen nicht, was ihre Stärken sind“, erklärt sie. Eine Taktik der Positiven Psychologie ist, sich abends zu fragen: Was ist heute gut gelaufen? Was war mein Beitrag dazu? So werden Erfolge besser sichtbar. Die Rückmeldungen auf solche Taktiken seien sehr positiv. Seligmans Forschung bestätigt ebenfalls ihre Wirksamkeit. Die Tipps sind simpel, aber effektiv. Aber ist es wirklich so einfach? Evolutionsbiologisch erfüllt sowohl Optimismus als auch Pessimismus einen Sinn. Pessimismus lässt sich als Schutzmechanismus verstehen, der hilft, Risiken vorzubeugen: „Angst schützt vor Ausschluss – oder früher vor dem Säbelzahntiger“, so Salchow. Bestimmte Berufsgruppen, wie zum Beispiel Anwält:innen, profitieren von „defensivem Pessimismus“, also davon, auf „das Schlimmste“ vorbereitet zu sein. Auf persönlicher Ebene wiesen aber genau diese Berufsgruppen eine höhere Tendenz zu Scheidung und Depression auf.

Zwei Tage vor der Deadline wurde ich gesund, meine Tochter schlief wieder besser. In der Zwischenzeit hatte ich deutlich weniger Stress als sonst, weil ich mir nicht erlaubte, mich auf die negativen Aspekte einzuschießen. Die Auseinandersetzung mit der Zuversicht ist auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Wer seine eigenen Verhaltensmuster kennt, kann sie hinterfragen und ihnen besser entgegenwirken, statt ihnen unterworfen zu sein. „Selbstwirksamkeit“ nennt das Leonie von Arnim. Ich bin überzeugt, dass ich meine positive Erfahrung bei der nächsten Deadline abrufen kann. „Optimisten sind davon überzeugt, die eigene Zukunft mitgestalten zu können“, sagt Dorothee Salchow. „Die Frage ist: Was habe ich in der Hand und was nicht? “Was, wenn man Pessimismus in die Wiege gelegt bekommen hat? Man muss deshalb nicht ein Leben lang das alte Shirt der Mutter auftragen. Seit einiger Zeit führt mein Mann abends ein Dankbarkeitstagebuch. Er sagt, mit diesem kleinen Ritual gehe es ihm besser. Vermutlich werde aus ihm nie ein glühender Optimist. Aber: Wenn nicht, schaffen wir das auch.