Ready to talk.

Please contact us.

Memes on Steroids

Arrow Up

Memes machen gute Laune und sind aus unserer Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Was ist das Geheimnis ihres Erfolgs – und sind sie wirklich immer nur positiv? Ein Gespräch mit der Meme-Forscherin Anne Leiser über kulturelle DNA und das Gefühl der Verbundenheit. Arrow Down

Frau Leiser, heißt es bei Ihnen morgens nach dem Aufstehen auch erst mal Kaffee – und Memes?

Tatsächlich werfe ich schon beim Kaffee einen ersten Blick auf die Social- Media-Plattformen und parallel auf Nachrichtenportale. Mich interessiert, wie die formellen Nachrichten in den sozialen Medien kommentiert werden.

Sie sprechen in Ihrer Forschung von Memes und Internet-Memes. Wo liegt der Unterschied?

Da muss ich ein wenig ausholen. Alle Kultureinheiten, die es in einer Gesellschaft gibt, bezeichnet die Wissenschaft als Memes. Sie transportieren Ideen und Bräuche und beeinflussen Denkweisen, Sprache und Trends. Rezepte oder Lieder sind in diesem Sinne zum Beispiel Memes. Der Begriff „Mem“ stammt aus der Memtheorie, die in den 1970er-Jahren entwickelt wurde. Er kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt so viel wie „nachgeahmte Dinge“ oder „imitieren“. In diesem Sinne versteht die Memtheorie unter Memes im Gehirn gespeicherte und ins Bewusstsein rufbare Informationsmuster. Sie werden durch Kommunikation weitergegeben, kollektiv imitiert und verinnerlicht. Folgt man der Memtheorie, werden Kultureinheiten ähnlich „vererbt“ wie unsere biologischen Gene. Alle Memes zusammen ergeben demnach unsere kulturelle DNA, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Dabei geraten manche Dinge über die Zeit in Vergessenheit, andere überleben unverändert oder mutieren.

Kommen wir zurück zum Internet-Meme. Ist es schlicht eine Subform des Memes?

Ja. Die meisten Menschen denken dabei an die lustigen Imageboards aus Bild und Text, die wir täglich in den Social Media sehen und uns so gerne gegenseitig zuschicken. Aus wissenschaftlicher Sicht sind aber auch Hashtags oder Soundbites und deren Remixe Internet-Memes. Ein aktuelles Beispiel ist der iranische Protestsong „Baraye“, der seit Monaten in unzähligen Kontexten verwendet und auf Onlineplattformen geteilt wird.

Was ist charakteristisch für Internet-Memes?

Zum einen sind sie meist mehr schlecht als recht zusammengebastelt und feiern so das Amateurhafte. Das war schon immer ein Kennzeichen der Internetkultur. Ein weiteres, ganz entscheidendes Merkmal ist, dass Algorithmen und Plattformökonomie mitbestimmen, wie stark Internet-Memes wahrgenommen werden und ob sie viral gehen.

Arrow Up

Was verstehen Sie unter Plattformökonomie?

Das Geschäftsmodell der Plattformen ist es, Daten ihrer Nutzer:innen zu sammeln und zu verkaufen. Zum Beispiel an Anwendungen für künstliche Intelligenz, die mit diesen Daten gefüttert werden. Die Plattformbetreibenden haben also einen wirtschaftlichen Anreiz, User möglichst lange auf ihrer Plattform zu halten. Aus diesem Grund bieten sie ihre Dienste umsonst an und zeigen den Nutzenden möglichst anregende Inhalte. Am besten funktionieren empörende Inhalte, die starke emotionale Reaktionen hervorrufen und die Nutzenden in unterschiedliche Lager spalten. Das führt zu mehr Klicks, zu längeren Aufenthalten – und zu mehr gesammelten Daten. Für die Kultureinheit Internet-Meme bedeutet das: Ausschlaggebend für ihren Fortbestand ist nicht mehr nur der Faktor Mensch, sondern der Plattformkapitalismus. Er verstärkt alle Mechanismen, die bei der Weitergabe von Memes am Werk sind – Internet-Memes sind quasi Memes on Steroides.

Wie sieht die Bauanleitung für ein Internet-Meme aus?

Ein Internet-Meme muss sich auf ein aktuelles Ereignis oder auf gesellschaftliche Stimmungen beziehen und dabei schnell und prägnant seinen Punkt machen. Typisch für Internet-Memes ist ihre meist popkulturelle Codierung. Wenn man zum Beispiel diese oder jene Serie aus den 1990er-Jahren nicht gesehen hat, kann man den Witz nicht verstehen. Umgekehrt gilt: Versteht man ihn, gehört man dazu. Das schafft ein Gefühl der „Relatedness“, der Verbundenheit.

Sind Memes die guten Geister des Internets, die uns sogar dabei helfen, Krisen zu meistern?

Internet-Memes sind wahnsinnig sozial. Sie bieten uns die Möglichkeit, über Belastendes zu lachen und sich einer Gruppe von Menschen, die ähnlich empfinden, zugehörig zu fühlen. Zu den Stärken von Internet-Memes gehört auch, dass sich Menschen aller sozialen Hintergründe ohne große Hürden an einem Diskurs beteiligen können. Und zwar jenseits der „geleckten“ Politik- oder Unternehmenskommunikation. Viele Menschen nehmen sich nicht als politisch kompetent wahr. Aber durch die Teilnahme an kollektiven Handlungen im Internet fühlen sie sich ermächtigt und finden doch einen Zugang – und eine Stimme. Als jüngere Beispiele fallen mir die Me-Too-Bewegung oder die Protestbewegungen in Hongkong oder dem Iran ein. Internet-Memes bieten eine Chance auf Teilhabe. Allerdings ist das nur eine Seite der Medaille.

Was ist die andere?

Internet-Memes greifen soziale Identitäten auf, geben ihnen eine Stimme und stärken sie. Das ist schön, wenn dadurch zum Beispiel Demokratisierung vorangetrieben oder auf Ungerechtigkeit hingewiesen wird. Es ist aber genauso möglich, dass Menschen in alternative Realitäten abdriften, die vom Verschwörungsnarrativ bis hin zum Extremismus reichen können.

Das macht Memes dann eher zu falschen Freunden?

In gewisser Weise. Internet-Memes können menschenverachtende oder extremistische Weltbilder weitertragen und das Zugeh.rigkeitsgefühl in einem extremistischen Umfeld stärken. In den entsprechenden Bubbles kann man auch beobachten, dass das aktiv kuratiert wird. Internet-Memes werden von Bots als Propagandamaterial ins Internet eingespeist, um Fake News zu verbreiten. Das ist schwer zu beweisen, weil man bei Internet-Memes in der Regel nicht weiß, wer sie gemacht hat.

 „Internet-Memes sind wahnsinnig sozial. Sie bieten uns die Möglichkeit, über Belastendes zu lachen und sich einer Gruppe von Menschen zugehörig zu fühlen.“  

 

Sind Menschen, die über dieselben Internet-Memes lachen, auf einer Wellenlänge?

Ich habe kürzlich etwas über eine Couchsurfing-Plattform gelesen, die Internet- Memes benutzt hat, um ihre Nutzenden zu matchen. Das fand ich eine charmante Idee. Wenn der Humor passt, hat man immerhin eine wichtige Sache gemeinsam. Ich sehe in Internet- Memes auf jeden Fall eine neue Form der Signale und Codes, mit deren Hilfe wir uns eine Identität in einem immer stärkeren digitalen Setting schaffen und auch Gleichgesinnte in der Masse ausmachen.

Was sagen Sie für die Zukunft voraus: Werden wir uns bis in alle Ewigkeit Katzen-Memes zuschicken?

Wer weiß? Katzen sind Klassiker und waren schon im alten Ägypten in den Hieroglyphen ein beliebtes Motiv. Es scheint also Inhalte zu geben, die zeitlos sind. Was Internet-Memes angeht, denke ich, dass uns das visuelle Format des Imageboards irgendwann auch wieder verlässt, weil es überholt sein wird.

Was wird an seine Stelle treten?

Da muss ich spekulieren. Als Imageboards sind Internet-Memes ja in erster Linie Bilder und folglich eher starr. Ich könnte mir vorstellen, dass Inhalte stimulierender werden und mehr und mehr Sinne ansprechen. Hier könnte das Metaverse eine Rolle spielen. Schon jetzt sieht man auf TikTok, dass bewegte Bilder mit Ton und Musik, die zusätzlich gestitcht, also miteinander kombiniert sind, immer beliebter werden.

Wie wird sich Kommunikation Ihrer Meinung nach generell weiterentwickeln?

Unsere Art, soziale Gruppen zu schaffen, wird sich durch das Internet weiter verändern. Wir werden noch mehr in Kontakt mit Menschen auf der ganzen Welt treten und zunehmend unabhängiger von den Strukturen in unserer räumlichen Umgebung werden. Sprachbarrieren werden fallen, weil SocialMedia- Plattformen eine automatische Übersetzung liefern. Der globale Austausch wird das Entstehen überregionaler Identitäten begünstigen. Und das hat dann eine unmittelbare Auswirkung auf die memetischen Inhalte, die Kultureinheiten, die entstehen und weitergegeben werden.

Gemeinsam lachen werden wir aber immer, oder?

Ganz bestimmt! Humor wird uns begleiten und als Kulturgut weitergegeben, solange es Menschen gibt.

Dr. Anne Leiser
ist Medienpsychologin und Nutzungsforscherin. Zu ihren wissenschaftlichen Schwerpunkten gehören Digitalisierungstrends, Partizipationskultur, sozialer Zusammenhalt und (De)radikalisierungsprozesse. In ihrer Forschung hat sie sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, welche Rolle politische Internet-Memes im gesellschaftlichen Diskurs und in sozialen Bewegungen spielen.