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Drei gute Gründe für Kooperation mit der Konkurrenz

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Konkurrent:innen wetteifern um Kund:innen, Kapital und Gewinn. So weit die Theorie. In der Praxis haben viele Unternehmen die Vorteile der Kooperation längst erkannt. Drei Gründe, warum sich Zusammenarbeit lohnt. Arrow Down

Der Ort, an dem der deutsche Pharmariese Bayer seinen Beitrag zur Bekämpfung der Coronapandemie leisten will, liegt zwischen Schwebebahn und Industriezeitalter ein bisschen verborgen im Bergischen Land. Back- steinrote Bauten ragen im Wuppertaler Stadtteil Elberfeld in den Himmel, das Gelände ruft Erinnerungen an vergangene Jahrhunderte wach. Die Fabrik in Wuppertal war für Bayer schon abgeschrieben, 2019 strich der Konzern 350 Stellen, Ende 2020 wurde ein Teil des Werkes verkauft. Nun aber steht das Gelände plötzlich im Mittelpunkt einer Kooperation, deren Bedeutung größer ist, als es das Werk je war.

Anfang 2021 verkündete der Leverkusener Konzern, in den backsteinfarbenen Hallen schon bald Coronaimpfstoff produzieren zu wollen. Nicht im Alleingang, sondern gemeinsam mit dem Start-up Curevac, das den Impfstoff entwickelt hat. Es ist eine Kooperation, die auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint, aber in der Pharmabranche gerade eine Blüte erlebt. Nicht nur Bayer und Curevac kooperieren, auch Biontech undder US-amerikanische Pharmakonzern Pfizer machen gemeinsame Sache. Der französische Konzern Sanofi und GlaxoSmith- Kline aus Großbritannien arbeiten nicht mehr gegeneinander, sondern ziehen an einem Strang.

Coopetition nennt die Wissenschaft solche Bündnisse, ein Kunstwort aus den englischen Wörtern Competition und Cooperation: Unternehmen, die normalerweise konkurrieren, schließen sich für ein gemeinsames Ziel zusammen. Nicht, weil sie auf einmal Sympathien füreinander entdecken, sondern weil es die Realität nicht anders erlaubt. „Unternehmen, die sich ausschließlich auf den Wettbewerb konzentrieren, werden sterben“, sagt der britische Kognitionswissenschaftler Edward de Bono, der das Phänomen seit Jahren erforscht. „Diejenigen, die sich auf die Wertschöpfung konzentrieren, gedeihen.“

Eine ungewöhnliche These. Schon Student:innen lernen, dass jeder verlorene Euro ein Gewinn für den Wettbewerber ist, dass Konkurennt:innen gegeneinander antreten und um Märkte wetteifern, um Kund:innen und Gewinne. Einer gewinnt, der andere verliert. Und dass soll plötzlich alles anders sein?

„Die Idee der Coopetition kommt aus der Spieltheorie“, erklärt Christian Rieck, Professor für Finance an der Frankfurt University of Applied Sciences. Die Spieltheorie beschäftigt sich damit, wie man gute Entscheidungen trifft. Sie behandelt dafür reale Situationen als strategische Spiele, bei denen Spieler:in und Gegenspieler:in gegenseitig ihre Pläne durchkreuzen wollen. Für Coopetition geht dieses Szenario so: Ein Paar möchte gemeinsam einen Abend verbringen. Entweder machen beide, was die eine Person möchte, oder sie folgen dem Vorschlag der anderen Person. Eine mathematisch richtige Lösung für das spieltheoretische Dilemma gibt es nicht. In der Praxis würden sich beide wahrscheinlich einigen und einmal machen, was eine Person will – und beim nächsten Mal dem Vorschlag der anderen folgen.

Das Impfstoffbeispiel zeigt, was das Szenario für die Praxis bedeutet. Theoretisch könnte Bayer auch selbst einen Impfstoff entwickeln und produzieren. Und Curevac könnte seine Entwicklung selbst herstellen, ohne Bayer-Werke zu nutzen. Weil aber eine Seite bereits die Forschungsfähigkeiten und die andere die Produktionskapazitäten hat, ist der gesamte Nutzen größer, wenn beide zusammenarbeiten. Einlenken bedeutet in diesem Falle das Teilen des Profits.

Während derzeit Impfstoffbündnisse im Fokus stehen, hat sich die Erkenntnis vom Nutzen der Kooperation in anderen Branchen längst herumgesprochen. Was das Coronavirus für die Pharmariesen ist, sind dort neue Konkurrenten, Kosten oder Regularien: interne oder externen Zwänge, die Unternehmen dazu treiben, mehr Kooperation zu wagen. Wer einen genaueren Blick auf sie wirft, erkennt die Gründe und Hürden der Kooperation – und die Dynamik, die aus ihnen erwachsen kann.

Da ist zum Beispiel die Luftfahrtbranche, die einst aus Regulierungsdruck zusammenging und heute dank großer Allianzen bessere Services anbieten kann. Da sind die Banken, die verstanden haben, dass sie mit neuen, innovativen Konkurrenten lieber zusammenarbeiten sollten, als sie zu bekämpfen. Und da ist die Automobilbranche, die den Angriff der Techunternehmen mit Kooperationen bei Zukunftstechnologien überleben will.

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KNOW-HOW

Beispiel: Autoindustrie

Ende 2020 kletterte der Börsenwert von Tesla erstmals über 500 Milliarden US-Dollar. Obwohl Volkswagen (VW), Toyota, Nissan, Hyundai, General Motors, Ford, Honda, Fiat Chrysler und Peugeot zusammen etwa 60 Millionen Autos im Jahr produzieren, war das Unternehmen von Elon Musk plötzlich mehr wert als die neun größten Autohersteller der Welt zusammen. Dabei hatte Tesla im gleichen Zeitraum nur etwa 500.000 Autos hergestellt. Trotzdem treibt Elon Musk die Branchenriesen aufgrund des Vorsprungs bei Elektroantrieb und autonomem Fahren vor sich her.

Die reagieren und kündigen neue Modelle mit neuester Technologie an. „Elektromobilität ist der einzige Weg, um die Klimaziele bis 2030 zu erreichen“, sagt Herbert Diess, Chef von VW, inzwischen. Auch beim autonomen Fahren will VW aufholen. Das Problem: In beiden Technologien fehlen Erfahrung und Know-how. Die Entwicklung eines E-Autos funktioniert grundsätzlich anders als die eines Verbrenners. Beim autonomen Fahren zählen vor allem künstliche Intelligenz, Softwareentwicklung und der Zugang zu Datensätzen. Enorme Herausforderungen – selbst für einen globalen Konzern wie VW. „Neue Antriebsformen sind eine gigantische Innovation, die eine riesige Infrastruktur erfordern“, sagt Coopetition-Experte Christian Rieck. „Da geht es darum, schnell eine gewisse Größe zu erreichen, weswegen die klassischen Autohersteller zusammenarbeiten müssen.“

Genau das haben VW und Ford vor und wollen sich in Zukunft bei den Themen Elektromobilität und autonomes Fahren unter die Arme greifen. Ford könnte laut Marktbeobachtern von VWs Aufholjagd in Sachen Elektromobilität profitieren, VW von Fords Expertise im Bereich autonomes Fahren.

VW stellt Ford dafür die wichtigsten Bausteine für Elektromobilität zur Verfügung. Eine Art Grundgerüst für E-Autos, die vor allem aus dem Motor und der Leistungselektronik besteht. VW setzt auf diesen sogenannten Modularen E-Antriebsbaukasten schon heute verschiedene Modellkarosserien auf. Nun nutzt auch Ford das Grundgerüst. Ab 2023 soll das erste Modell im Kölner Ford-Werk in Serie vom Band rollen, wie Europachef Stuart Rowley Mitte Februar bekannt gab.

Parallel steigt VW bei Argo AI ein. Das Start-up, an dem Ford bereits beteiligt ist, entwickelt Technologien für autonomes Fahren: Software, Hardware, Kartensysteme, eine Cloud-Computing-Infrastruktur. Die in Pittsburgh beheimatete Firma will alles, was für autonomes Fahren benötigt wird, aus einer Hand anbieten – bis auf die Autos selbst. Mit Ford und VW als Partner könne die Argo-Technologie nahezu jeden globalen Markt erreichen, äußert sich Argo-AI-Grün- der Bryan Salesky.

Salesky weiß, wovon er spricht. Bevor er Argo AI gründete, war er bei Google für das dortige Autoprogramm zuständig. Durch den Einstieg von VW will er die Technologie seiner Firma nun auch fit für den europäischen Markt machen. Argo besitze nun den Vorteil, sein Angebot sowohl am europäischen als auch am amerikanischen Markt verkaufen zu können. Dadurch würden sich auch die Investitionskosten deutlich schneller amortisieren. Oder in anderen Worten: Die Konzerne teilen sich die Milliardeninvestition.

Was Coopetition treibt

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SERVICE

Beispiel: Flugallianzen

Der 14. Mai 1997 war wahrscheinlich selbst für Jürgen Weber ein ungewöhnlicher Tag. Bereits zuvor hatte der Ingenieur und Vorstandsvorsitzende die Lufthansa vom Staatsbetrieb zur Aktiengesellschaft gemacht. Nun verkündete er gemeinsam mit den Chefs vier anderer Fluggesellschaften eine Kooperation, die es so noch nie gegeben hatte – und die Luftfahrtbranche nachhaltig verändern würde. Man werde sich jeden Bereich im Hinblick auf mögliche Verknüpfungen ansehen, erklärte er, „vom Flugzeug bis zum Toilettenpapier“. Der Name der Kooperation: Star Alliance. Gemeinsam mit United Airlines, Scandinavian Airlines, Thai Airways und Air Canada bildete die Lufthansa damit die erste Luftfahrtallianz ihrer Art.

Aus fünf Gründungsmitgliedern ist inzwischen eine Kooperation aus 26 Fluggesellschaften erwachsen. Über 4.500 Flugzeuge decken im Zusammenschluss mehr als 1.300 Ziele in 192 Ländern ab. Jeffrey Goh kam vor 13 Jahren zur Allianz, seit 2017 leitet er sie als CEO. „Bis heute ist die Luftfahrtindustrie eine der am stärksten regulierten Branchen der Welt“, erklärt der Jurist am Telefon. „Aus diesem Grund mussten die Fluggesellschaften nach globalen Wachstumsmöglichkeiten durch Partnerschaften suchen, um nicht mit dem regulatorischen Umfeld in Konflikt zu geraten.“

Bei der Gründung 1997 ging es unter anderem um Landerechte. Weil sie ihre eigenen Fluglinien schützen wollten, vergaben etliche Staaten Landerechte nur an die staatseigene Fluggesellschaft. Code-Sharing-Vereinbarungen schufen Abhilfe: Zwei Fluglinien teilten sich ein Flugzeug und durften auch in anderen Ländern landen. Heute ist das Thema dank internationaler Abkommen kaum noch ein Problem, aber die Star Alliance hat überlebt. Der Grund: Die 26 Mitglieder sind zusammengewachsen und bieten ihren Kund:innen vor allem im Service Vorteile an: engere Verknüpfung von Vorteilsprogrammen, gemeinsame Buchungsplattformen, aufeinander abgestimmte Linienflüge.

„Die Fluglinien haben verstanden, dass Allianzen weniger Gefahr bergen, dass Kunden abwandern, sondern eher eine Möglichkeit sind, sie zu binden“, sagt Coopetition-Experte Christian Rieck. Der wesentliche Vorteil liegt auf der Hand: Statt die eigene Infrastruktur kostspielig ausbauen zu müssen, teilen die Partner ihre Infrastruktur und bieten ihren Kund:innen mehr Verbindungen und bessere Services an. Die Pandemie hat die Branche unterdessen noch stärker auf Effizienz getrimmt. „Unsere Netzwerkeffekte sind gerade jetzt unglaublich wertvoll, da viele Fluggesellschaften ihren eigenen Betrieb zurückfahren“, sagt Star-Alliance-CEO Goh. Mit seinen Mitarbeiter:innen bereitet er sich schon akribisch den Neustart der Branche vor.

Dass sich Kooperation lohnt, zeigt sich für Goh vor allem daran, dass es mittlerweile zwei weitere Allianzen gibt. Oneworld und Skyteam haben das Star-Alliance-Modell auf kleinerer Stufe kopiert. Fluglinien, die als Einzelkämpfer antreten, sterben dagegen immer mehr aus.

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INNOVATION

Beispiel: Banking

Wenn Margrethe Vestager eine Branche ins Visier nimmt, löst das bei den betroffenen Unternehmen meist unruhige Nächte aus. Immer wieder legt sich die EU-Wettbewerbskommissarin mit monopolartigen Strukturen an, zuletzt ging sie gegen Techunternehmen vor. 2015 nahm sie sich die Banken vor und beraubte sie einer ihrer wichtigsten Schätze: der Kundendaten. Mithilfe der europäischen Zahlungsdienstrichtlinie PSD2 zwang sie die Geldinstitute, Daten wie Kontobewegungen und Transaktionen zugänglich zu machen. Ein Einfallstor für Fintechs, um den Markt aufzuwirbeln.

Statt die jungen Herausforderer aktiv zu bekämpfen, haben viele Banken mit Kollaboration reagiert. So wie die DZ Bank. Das Zentralinstitut der Volksbanken und Raiffeisenbanken kooperiert aktuell mit mehr als 30 Fintechs. „Die niedrigen Zinsen belasten unseren Gewinn, steigende regulatorische Anforderungen treiben gleichzeitig die Kosten“, skizziert Franz Sebastian Welter, Chef der Innovations- und Digitalisierungsabteilung das Dilemma der Bank.

Einerseits benötigen Banken also dringend neue Geschäftsmodelle, andererseits sind die Kosten dafür hoch. Kooperationen mit Fintechs bieten sich als Ausweg an: Fintechs liefern disruptive Innovationskraft und Flexibilität, die Banken bringen Erfahrung, Sicherheit und eine Kundenbasis mit. „Erfolgreiche Kooperationen zwischen Fintechs und Banken basieren vor allem darauf, dass die Start-ups kein bestehendes Geschäft haben, das durch die neue Technolo- gie zerstört werden könnte“, sagt Coopetition-Experte Christian Rieck. „Es gibt einfach Innovationen, die sich besser außerhalb eines etablierten Unternehmens entwickeln lassen.“ Denn die neue Technologie zerstört oft ein bestehendes Geschäft – und wird daher in aktuell erfolgreichen Unternehmen oft als Gefahr gesehen.

Optiopay hat so eine Innovation im Angebot und arbeitet dafür mit der DZ Bank zusammen. Aus den Kontodaten der Bank leitet Optiopay individuell zugeschnittene Cashback-Optionen, also Gutscheine oder Verträge ab. Versicherer können so etwa Angebote für eine Kfz-Versicherung an Menschen ausspielen, die gerade ein Auto gekauft haben. „Die Basis solcher Angebote sind die Informationen aus den Kontodaten der Banken“, erklärt Christian Graner, Business Development Manager bei Optiopay.

„Natürlich können die Banken so ein Angebot auch selbst entwickeln“, sagt Graner. „Aber das wäre teurer, als es einfach bei uns einzukaufen.“ Trotzdem sei nicht jede Bank an einer Kooperation interessiert. „Viele reagieren erst ein- mal emotional, schließlich verkaufen wir ihnen etwas, was auf ihren eigenen Daten basiert.“ Solche Vorbehalte lassen sich laut Graner nur überwinden, wenn die Kreditinstitute den Mehrwert der Kooperation erkennen. Und der sei da, betont er: „Dank unserer Angebote können Banken – und auch alle anderen Unternehmen – besser Kontakt zu ihren Kunden halten – und zwar mit Daten, die vorher niemand genutzt hat.“

Auch bei der DZ Bank ist man von dem Projekt mit dem Namen VR-ExtraPlus überzeugt. „Die Kunden kriegen mehr für ihr Geld, die Kundenbindung und der Händlerumsatz wachsen und die genossenschaftliche FinanzGruppe profitiert von Umsatzprovisionen“, äußerte sich der damalige Vorstandsvorsitzende Wolfgang Kirsch zu dem Deal.

Ob sie nun von Konkurrenten, hohem Kostendruck oder Regularien dazu getrieben werden: Autobauer, Fluglinien und Banken sehen in Coopetition zweifelsohne einen der besten Wege, um ihr Geschäftsmodell ins 21. Jahrhundert zu retten. Für Christian Rieck ist das ein logischer Schritt: „In modernen Märkten ist Koordination sehr wichtig.“ Für manche Branche sei sie überlebenswichtig, für alle aber vor allen Dingen ein Gewinn. „Die Unternehmen müssen nur erkennen, dass Coopetition kein Nullsummenspiel ist, sondern dass beide Seiten davon profitieren können.“